Meine Story für #IchBinArmutsbetroffen

(Quelle: Pixabay)

Manchmal hat Armut nur eine einzige, große Ursache. Aber häufig sind es viele kleine Zufälle, die einen Menschen dahin bringen, dass er auf staatliche Hilfe angewiesen ist.
In meinem Fall waren es so viele „kleine unglückliche Umstände“, dass es für einen Thread auf Twitter deutlich zu umfangreich wäre. Wer mag, der lese also hier wieso meine Rente unter dem Existenzminimum liegt, und ich mich jetzt mit beinahe 61 Jahren, auf ein Leben in Altersarmut „freuen“ darf.

Als Jahrgang 1961 gehöre ich zu den Boomern. Was dafür sorgte, dass ich nach dem Abschluss der Mittleren Reife keine Ausbildungsstelle fand.
Ich wusste nicht genau was ich machen wollte, aber ich wusste genau was es NICHT sein sollte: Etwas Kaufmännisches. Büro und/oder Handel hätten mich gekillt, das war mir sonnenklar. „Mama, ich will Krankenschwester werden.“

Doch das wollten zu dieser Zeit extrem viele aus den geburtenstarken Jahrgängen, und so fand ich keine Ausbildungsstelle obwohl es meiner Heimatstadt an Krankenhäusern nicht mangelte. Zudem war mein Zeugnis kein Streberzeugnis, ich lag eher im „oberen Mittelfeld“. Die Lehrer sagten es mangele mir nicht an Intelligenz, sondern ich sei schlicht noch zu verspielt und unkonzentriert.
Um nicht sinnlos daheim herumzugammeln entschied ich mich für das sogenannte „Freiwillige Soziale Jahr“

Aber auch danach war der Run auf die Ausbildung zur Krankenschwester nicht gebrochen und ich hatte ebenfalls kein Glück, trotz unzähliger Bewerbungen. Ich musste umdisponieren. Und dachte fortan an die Kinder, die in Kinderheimen aufwachsen mussten. Erzieherin war vielleicht eine gute Wahl! Meine Stadt hatte zwei „Fachschulen für Sozialpädagogik“, beide überfüllt.
Mir war klar, dass man ein sogenanntes „Vorpraktikum“ brauchte um dort angenommen zu werden und hatte gehofft, dass das Freiwillige Soziale Jahr, das als solches zählte, mir bessere Chancen bringen würde. Aber es waren einfach viel zu viele Bewerber.

Allerdings war auf einer Kinderpflegeschule noch ein Platz zu ergattern. Aber die lag ein gutes Stück weit von meinem Wohnort entfernt. Und es gab keinen ÖPNV der dort hin geführt hätte. Oma schenkte mir als vorgezogenes Erbe ein Auto, ich gründete eine Fahrgemeinschaft und so verging das Jahr auf der Kinderpflegeschule wie im Flug. Mein Anerkennungsjahr für selbige absolvierte ich in der großen Familie meines Pädagogiklehrers! Ich war stolz wie Bolle, aus der ganzen Klasse hatte er ausgerechnet mich gewählt um ein Jahr lang die persönliche Nanni seiner fünf Söhne zu sein!

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Nachdem die Ausbildung abgeschlossen war, bekam ich auch einen Platz auf der Fachschule für Sozialpädagogik, Drei Jahre später hatte ich meine „staatl. geprüfte Erzieherin“ in der Hand.
Aber in der Heimat war keine Stelle zu kriegen, Boomerzeiten halt.
Ich suchte weiter weg, fand eine in der Nähe von Lörrach und zog quer durch die Republik dort hin.
Als ich mein allererstes eigenes Geld verdiente und in die Rentenkasse einzahlen konnte, war ich bereits knapp 25 Jahre alt.

Doch nach einiger Zeit als Erzieherin mit Schwerpunkt Jugendarbeit wurde mir klar, dass ich den Beruf nicht weiter ausüben konnte. Nicht wegen der Jugendlichen, nein! Sondern wegen der damals schon total engen Personalschlüssel. Ich sah mich als jemand, der den Kids helfen wollte ihren Weg zu finden. Aber de fakto war ich nur eine Art „Aufbewahrungsperson“, eine Organisatorin des Kinderheimablaufs. Ich wusste, wenn ich meiner Verwantwortung für die mir Anvertrauten nicht nachkommen konnte weil schlicht keine Zeit da war um sich auch nur eine halbe Stunde lang einem einzelnen Kind / Jugendlichen zuzuwenden, dann würde ich irgendwann nicht mehr in den Spiegel schauen können. Ich wurde krank.

Eines Morgens erwachte ich vom Weckerklingeln und war wie gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen, und bekam Panik. Nicht einmal die heftig juckende Nase konnte ich mir kratzen. Es war ein Tag mit Frühschicht, ich MUSSTE doch aufstehen! Aber mein Körper gehorchte mir einfach nicht. Erst nachdem der Wecker schon lange aufgegeben hatte, etwa 15 Minuten später, erlangte ich die Gewalt über meinen Körper zurück. Sofort rief ich meinen Gruppenleiter an, entschuldigte mich und suchte meinen Arzt auf.

Um es kurz zu machen: Er sagte mir ich hätte genau zwei Möglichkeiten: Entweder den Beruf wechseln oder aber für den Rest meines Lebens Psychopharmaka fressen. Zum nächstmöglichen Termin kündigte ich und zog nach Freiburg, wo ich, obwohl ich die Stadt nicht kannte, binnen drei Monaten eine Ortskenntnisprüfung ablegte, einen Personenbeförderungsschein machte und erst einmal anfing Taxi zu fahren. Von irgendwas muss der Mensch ja leben, und ich brauchte Zeit für, wie ich es nannte, meine „Impulsfindung“.

Schließlich war eine Umschulung etwas das gut überlegt sein wollte, und ich hatte keinen blassen Dunst was ich nun machen sollte. Diese „Impulsfindungsphase“ dauerte ziemlich genau fünf Jahre. Taxifahren machte mir Spass, ich liebe Autos und fahre leidenschaftlich gerne. Dumm nur, dass es einer der schlechtbezahltesten Jobs ever war!

Da ich sprachbegabt bin, beantragte ich eine Umschulung zur Dolmetscherin. Und sie wurde mir gewährt.

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Glücklich schrieb ich mich bei einer Sprachschule ein. Es war eine dieser Franchise Ketten, eine sehr bekannte. Mit gutem Ruf. Die Ausbildung sollte zwei Jahre dauern. Ich hatte Spass, legte mich auf Business English, Französisch und Spanisch fest. Nur Steno mache mir zu schaffen, ansonsten war ich wunschlos glücklich mit der Schule.

Bis zu dem Tag, etwa drei Monate bevor wir alle vor der IHK die Prüfung ablegen sollten – es war ein Montag.
Wir kamen aus dem Wochenende zurück, betraten die Schule und … fanden sie leer!
Der Direktor hatte sie wohl kaputt gewirtschaftet, bei einer Nacht- und Nebelaktion die Räumlichkeiten leer geräumt und war abgetaucht. Die angestellten Lehrkräfte standen genau so perplex in den leeren Zimmern herum wie wir Schülerinnen. (und nein ich habe nicht falsch gegendert, es gab nur weibliche Schüler.)

To make a long story short: Die IHK war nicht bereit uns die Prüfung abzunehmen obwohl uns nur drei Monate fehlten, wir ja die Bücher hatten, und überzeugt waren uns diesen ‚kleinen Rest‘ autodidaktisch beibringen zu können. Wir hätten das gerne versucht und wären das Risiko in der Prüfung zu scheitern eingegangen. Doch die Bedingung war, dass wir dieses fehlende Quartal auf einer anderen Schule verbringen sollten. Was nur einer Handvoll gelang, da die anderen Sprachschulen zu dieser Zeit ja auch voll belegt waren. Diejenigen, die nicht das Glück hatten zu dieser Handvoll zu gehören, guckten in die Röhre. Keine Prüfung – kein Abschluss!

Zwei ganze Jahre des Lebens in den Sand gesetzt! Einfach so. Und in der Zeit natürlich auch nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Dank eines „Schuldirektors“ der sich der fälligen Insolvenz entzog und einfach untertauchte!

Fast ein Jahr lang war ich arbeitslos, jobbte nebenher auf Minijob Basis als Pizza Ausfahrer. Als DJane in einem Club. Als Hilfskraft in einem Copy Shop. (Jaaaa, sowas gab es dazumal noch!)


Ein glücklicher Zufall eröffnete mir eine neue Chance: Meine Tierärztin suchte Unterstützung. Ich ergriff die Gelegenheit, hatte ich doch als Kind bereits die Frage was ich denn mal werden wolle mit „Tierärztin“ beantwortet! Also arbeitete ich bis zum Jahr 2000 als angelernte Tierarzthelferin. (Ich nenne es bewusst nicht „Tiermedizinische Angestellte“, da ich es ja nicht „ordnungsgemäss“ gelernt hatte.)

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Es war die glücklichste Zeit meines Lebens. Allerdings war auch diese Tätigkeit nicht gut bezahlt. Kaum jemand weiss, das Tierärzte in Relation zu dem was sie leisten wenig Einnahmen haben und sich das Gehalt für ihre Angestellten fast vom Mund absparen müssen.

Dann verstarb meine Chefin mit Mitte Vierzig aus ungeklärter Ursache. Von jetzt auf gleich. Sie war sportlich und lebensfroh…….. ernährte sich gesund, rauchte und trank nicht. Dennoch: Plötzliches Herzversagen.
Erst einmal brauchte ich ein halbes Jahr um diesen Schock zu verdauen. Und wieder war ich etwas über ein Jahr arbeitslos. Fand eine andere Stelle im tierärztlichen Bereich, zog dafür extra 300km weit weg nach Unterfranken. Wo ich heute noch lebe. Der Tierarzt war ein ……… sorry……….. extemer Arsch. Ich hielt es genau ein Jahr bei ihm aus. Damit war ich die „Zweitdienstälteste“ dieser Praxis, es gab nur eine die es etwas länger geschafft hatte für ihn zu arbeiten. Hätte ich die Fluktuationsrate seiner Praxis gekannt, bevor es zu spät war, hätte ich die Stelle wohl niemals angenommen.
Wieder war ich arbeitslos und nun setzte sich eine Depression drauf. Ich kam mir unfähig und unwert vor. Ich hatte das Gefühl jederzeit mein Bestes gegeben zu haben, aber jedesmal vom Schicksal oder meiner eigenen Psyche genarrt worden zu sein. Und eine Perspektive sah ich auch nicht mehr. Und ja, ich ging in eine Therapie und arbeitete hart an mir. Machte sogar eine Reha für psychosomatische Erkrankungen. Letztere half mir sehr.

Zudem habe ich seit meinem 18. Lebensjahr eine chron. Erkrankung, die mich zeitweise am Arbeiten hindert, und die wurde schlimmer. Einige andere Erkrankungen kamen hinzu.

Von der Reha zurück gekommen, fand ich in meinem alten Beruf als Erzieherin Arbeit bei einer kleinen Gemeinde. Sie brauchte jemanden der die Sozialarbeiterin im örtlichen Jugendzentrum unterstützte. Die Stelle wurde von der EU gefördert, sollte Langzeitarbeitslose wieder in Brot bringen. Als Erzieherin war ich überqualifiziert, und natürlich nahm die Gemeinde mich daher mit Kusshand! Es war eine 30 Std. Woche, ich verdiente mitsamt der Förderung ungefähr 1030,- Euro Netto. Nicht viel aber ich wurde gebraucht und kam klar.
Die Kosten der Gemeinde für eine voll ausgebildete Erzieherin beliefen sich durch die Förderungsumme im Monat auf lediglich 178€! Keine hohen Lohnnebenkosten oder so, es war natürlich win win.

Kurz bevor die Förderung auslief fragte ich bei meinem Personalen, meiner direkten Chefin UND dem Bürgermeister nach ob ich mich sorgen müsste. Alle drei versicherten mir, mich übernehmen zu wollen. Nach Tarif.
Es scheiterte dann am Gemeinderat, der das Jugendzentrum sowieso für überflüssig hielt und dagegen stimmte. Somit wurde mir die Stelle nach drei vollen Jahren unterm Hintern wegrationalisiert. Das ist sooo symptomatisch für die heutige Zeit. Kein Geld für alles Soziale!

Genug erzählt…….. ich habe exakt 32,5 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt. Nun bin ich 61 und nicht mehr arbeitsfähig. Meine Erwerbsunfähigkeitsrente beträgt exakt 338 Euro, also Hartz IV.

Danke an alle die bis hierhin durchgehalten haben! Armut hat viele Gründe und viele Gesichter. Und die allerwengisten Menschen sind „selber schuld“ oder „schlichtweg faul“………. ich würde sonstwas darum geben gesund zu sein und arbeiten zu können!

Zwei Jahre Stille und ein Blog-Neubeginn

Es ist beinahe zwei Jahre her, dass ich in mein Blog geschaut habe.
Nutze ich es früher eher um meine virtuellen Bilder aus Second Life zu präsentieren, oder kleine Kurzgeschichten zu erdenken, die ich dann mit Hilfe dieser Bilder aufhübschte, so steht mir zwischenzeitlich der Sinn nach ganz anderen Verwendungen.

Bereits 2020 bemerkte ich, dass ich mehr und mehr Dinge aus meinem Alltag ansprach. Themen politischer Natur, Erlebnisse die mich nachdenklich machten, Meinungen zu dem was gerade Twitter bewegte.

Nun ist Twitter durch die Zeichenbegrenzung ja nicht unbedingt die Platform um lange, nachdenkliche und gehaltvolle Texte zu verfassen.
Sicher, man kann einen Thread schreiben. Aber das ist mühsam. Manche schreiben ihn vor und kopieren ihn dann nur noch hinein – dann geht es schnell. Ist aber irgendwie nicht mein Ding. Ich fange an etwas zu verfassen und merke oft erst „unterwegs“ wie viel ich noch hinzufügen möchte. Und dann dauert es einfach bis man einen Thread fertig hat. Diejenigen Twitterinos, die ihn schnell gefunden haben, lesen dann bis zu der Stelle an der man gerade festhängt und werden ausgebremst.

Daher nun mein Entschluss, dieses Blog zukünftig auch zu nutzen um von Twitter her zu verlinken, sofern ich etwas ausgiebiger schreiben möchte.

Die „uralten“ Beiträge in denen es ja meist um Second Life ging, habe ich fast zur Gänze gelöscht. Sorry Ihr Lieben, die Ihr mir da kommentiert habt oder mich sogar rebloggt hattet – Der Wandel macht halt auch vor Blogs nicht halt.